Zum 08. Dezember



Ist es aber aus Gnaden, so ist es nicht aus Verdienst der Werke; sonst würde Gnade nicht Gnade sein. - Röm. 11, 6

Hier haben wir einen der kräftigsten Kernsprüche der Heiligen Schrift, gerade geeignet, die Gedanken in der wichtigen Frage ins Klare zu bringen, was die Gnade besagen will. Das ist auch höchst notwendig. Viele Menschen bekennen und singen während ihres ganzen Lebens, dass wir nur aus Gnaden durch Christus selig werden, sie hängen aber dennoch an der eigenen Arbeit, um auf diese Weise Gottes Gnade zu verdienen oder derselben würdig zu werden. Wenn sie noch in der Vorstellung leben, bei sich selber etwas Gutes zu haben, dann erhoffen sie auch alles Gute von Gott, sagen dabei aber doch „aus Seiner Gnade“ und mengen so Gnade und Verdienst durcheinander. Und sind sie wach genug, ihre beständige Sünde und Bosheit zu sehen, dann haben sie doch nie den wahren Seelenfrieden, sondern sind immer in einer qualvollen Finsternis, halbverdammt und der Gnade Gottes ungewiss. Dennoch bekennen sie, dass wir nur aus Gnade und nicht aus den Werken selig werden sollen. So vermengen sie Gnade und Verdienst, ohne zu bedenken, wie diese gegeneinander streiten.
Dieses Durcheinandermengen ist sehr schädlich und erstickt jede geistliche Kraft. Dadurch kann man nie den vollen Frieden, nie die volle Gewissheit der Gnade und der Freundschaft Gottes erhalten, und man kann auch nicht die Liebe, Lust und Kraft zum Guten empfangen, die nur einem vollen Trost und Frieden mit Gott folgen. Darum müssen wir diesen Spruch ernst betrachten und einen rechten Blick auf die Gnade zu bekommen suchen. Der Apostel sagt: „Ist es aber aus Gnaden, so ist es nicht aus Verdienst der Werke.“ Werden wir also aus Gnaden nur durch Christus gerecht und angenehm vor Gott, so geschieht es nicht durch unsere eigene Würdigkeit, Frömmigkeit, Liebe und Reue, auch nicht durch unsere eigenen Gebete, sondern nur aus Gnaden. Alle unsere Mängel und Gebrechen verkleinern die Liebe Gottes nicht im Geringsten, so wahr es aus freier Gnade ist. Geschähe es aus unseren Werken, dann würde Gnade nicht Gnade sein: Eine ganz unverdiente Schenkung und Gabe.
Wenn im Worte Gottes von der Gnade die Rede ist, ist immer eine freie Gnade gemeint, keine Vermengung von Gnade und Belohnung, sondern eine Gnade, die alle unsere (vermeintlichen) Verdienste ausschließt. Würden wir aus den Werken, aus Verdienst oder Würdigkeit gerecht gemacht und von Gott aufgenommen, dann wäre es nicht Gnade, und man würde nicht sagen können, dass Gott uns aus Gnaden selig macht; sonst wäre Verdienst nicht Verdienst. Denn Gnade und Verdienst sind scharfe Gegensätze. Wenn wir um unserer Werke oder unseres Verdienstes willen von Gott angenommen würden, müssten wir auch den Wert des Verdienstes anerkennen und dürften ihn durch das Reden von der Gnade nicht leugnen. Denn es wäre ein schlechtes Verdienst, wenn zu dessen Belohnung einige Gnade gefordert würde. So eindeutig hat der Apostel hier geredet. Er will sagen: Es muss entweder das eine oder das andere sein, entweder Gnade, und dann ist es nicht Verdienst, oder aber es ist Verdienst, und dann ist es nicht Gnade. Dass jemand liebevoll gegen diejenigen ist, die der Liebe wert sind, das ist keine Gnade. Und es ist keine wahre Gnade, wenn sie nicht recht unverdient ist.
Hier bleibt nur die Frage, ob Gott denn wirklich den Menschen aus Gnaden selig machen will. Was hat Er im Himmel darüber beschlossen und in Seinem Worte offenbart? Will Er den Menschen nur aus Gnaden oder aber irgendwie auf dessen eigenes Verdienst hin selig machen? Von dieser Frage hängt mein Friede hier in der Zeit und mein Trost in der Todesstunde ab. Und in dieser hochwichtigen Frage muss ich unbedingt das wissen, was Gott der Herr selber sagt. Lasst uns das hier betrachten!
Der stärkste Beweis, dass Gott die Menschen nur aus Gnaden selig machen will, liegt gewiss in der großen Tat, dass Er Seinen eingeborenen Sohn dahingab, um für uns unter dem Gesetz zu sein und ein Opfer für unsere Sünden zu werden. Diese Tat nebst allem, was Gott davon verkündigte, legt im Herzen den tiefsten Grund des Glaubens an eine ganz unverdiente Gnade. Bedenke hier, wie Gott vom Anfang der Welt an verkündigte, dass Er Seinen eingeborenen Sohn zu unserem Heiland dahingeben wollte! Schon am Tage des Sündenfalls sprach Er von dem Weibessamen, der der Schlange den Kopf zertreten sollte. Ferner hat Er ein langes, vorbereitendes Weltalter hindurch das Warten Seines Volkes auf den verheißenen Heiland mit unzähligen vorbildenden Opfern und Verheißungen beständig rege erhalten. Als dieser Heiland schließlich kam, wurde Er von den Engeln verkündigt und durch Zeichen und Wunder und durch die Austeilung des Heiligen Geistes bezeugt. „Das Wort ward Fleisch und wohnte unter uns, und wir sahen Seine Herrlichkeit, eine Herrlichkeit als des eingeborenen Sohnes vom Vater, voller Gnade und Wahrheit.“ Ja, wir sahen Ihn als einen gehorsamen Knecht, „unter das Gesetz getan, auf dass Er die, so unter dem Gesetz waren, erlöste“. Wir hörten Ihn erklären: „Des Menschen Sohn ist gekommen, dass Er Sein Leben zu einer Erlösung gebe.“ Und wir sahen Ihn selber — heilig und unschuldig — für unsere Sünden Marter und Tod erleiden. Sagt uns dies nicht, dass Er die Menschen aus lauter Gnade erretten wollte?! Wenn Gott uns Seinen eigenen Sohn zu einer Erlösung, zu einem blutigen Opfer für unsere Sünden gab, wird ein jeder leicht ermessen können, ob Er dann noch auf unsere eigene Würdigkeit, auf unser Verdienst blicken wird. Der Apostel sagt: „So durch das Gesetz (durch irgendwelches Verdienst unsererseits) die Gerechtigkeit kommt, so ist Christus vergeblich gestorben.“
Römerbrief





Diese Tagesandacht stammt aus dem „Täglichen Seelenbrot“ von Carl Olof Rosenius. Die Andachten des gesamten Jahres sind in Buchform hier erhältlich.


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